Liebesbeziehungen zu Hockern und wie man sich ein zu Hause an jedem Ort in Berlin erschaffen kann

Bild: Koulla Louca im Gespräch mit Anja Prinz

Koulla Louca, Co-Founder St. Oberholz im seltenen Gespräch mit Anja Prinz

Auf das Gespräch heute freue ich mich sehr. Koulla ist der weibliche Part in der St. Oberholz Geschichte. Koulla selbst liebt es aus dem Hintergrund heraus zu agieren – ihre Handschrift ist für jede*n Besucher*in ganz sichtbar: In der Gestaltung der Räume.
Wenn sie selbst einen Raum betritt, fällt auf, dass dies sehr leise geschieht. Und doch kommt man nicht umhin sie wahrzunehmen. Wir setzen uns an diesem sommerlichen Tag ins Café und vergessen das Geschehen um uns sehr schnell.

Wann hast du angefangen dich mit Räumen zu beschäftigen?
K: Die Art von Räumen von denen wir hier sprechen hat etwas mit der Sehnsucht meiner Kindheit zu tun. Ich bin eher zwischen Umzugskisten aufgewachsen. Wir waren nie länger als zwei Jahre an einem Ort und für meine Eltern war das Gestalten von Räumen nicht wirklich wichtig. Ich jedoch träumte von schönen Räumen und Orten, die in ihrer Beständigkeit und Geborgenheit ein zu Hause sind. Immer schon habe ich mir jeden Platz, auch wenn er noch so klein war, mit einfachsten Mitteln und Möglichkeiten zu meinem eigenen gemacht, um Halt zu finden. So werden Räume zu einem zu Hause für mich.

Mich berührt die Bedeutung, die du da beschreibst…

K: Die Dinge, die mich umgeben, sind sehr bedeutend. Es ist wichtig für mich ein zu Hause zu formen, daher habe ich sehr früh mein Elternhaus verlassen, um selber Räume prägen zu dürfen. Wie du weisst, zog es mich nach Berlin.

Ja. Wir haben vor einiger Zeit ein kleines Porträt von dir für einen Berlin-Guide umgesetzt. Deine dort beschriebene Liebe zu unserer Stadt war einzigartig, weil so echt.

K: Berlin… Ich war als Teenager zweimal zu Besuch in der Stadt und danach bin ich hergezogen. Die Stadt war ein Spielfeld der Improvisation und des Erfindens. Ich fühlte mich so berührt und bestätigt. Vieles von dem, was ich in meiner Anfangszeit in meine Wohnung gebracht habe, kam vom Flohmarkt oder von der Straße – Fundstücke eben.

Das dachte ich immer auch von den Räumen, die ihr „erschaffen“ habt. Sie spiegeln für mich nicht wirklich eine durchdachte Ästhetik wieder. Sie erzählen eher eine private Vision…

K: Wir haben unsere Läden immer auch so gestaltet wie wir ganz persönlich mögen würden. Und am Ende auch wie wir selbst leben. In meiner Wohnung würdest du ständig Zitate unserer öffentlichen Räume entdecken und umgekehrt. Es gibt Stücke, die sind mir persönlich wertvoll, auf die achte ich sehr. Ich kann zu Gegenständen eine tiefe Verbindung entwickeln. (lacht)

Würdest du eines dieser Stücke „enttarnen“?

Es gibt einen Hocker, den habe ich für die Zehdenicker Straße gefunden und in den habe ich mich zu sehr verliebt. Nach der Eröffnung schnappte ich ihn mir und trug ihn nach Hause. Aber dieser Hocker wandert immer von Projekt zu Projekt und findet da seinen Platz, wo wir etwas Neues beginnen. Wie ein Glücksbringer. Zwischendurch muss er aber immer wieder nach Hause in den sicheren Hafen.

Dann ist dieser Hocker ja so etwas wie ein Schatz oder wie ein Hausgeist, der die neuen Oberholz-Räume mit den alten verbindet…

Ein schönes Bild. In all den Jahren haben wir unterschiedliche Konzepte in unseren Häusern umgesetzt. Einige Jahre auch die Vermietung von Appartements. Wie das dann oft so ist, fehlt am Ende bei der Innengestaltung immer etwas Budget. Bei jedem Apartment kamen wir an diesen Punkt und dann kam unser privates Sofa zum Einsatz. In jedem Appartement stand also für eine gewisse Zeit unser Sofa und im Laufe der Jahre gab es ein ständiges Hin und Her. Möbelstücke aus unserer Wohnung wanderten in unsere Projekte und zurück. Sehr lustig, denn wir sind unseren eigenen Möbeln rund um die Uhr begegnet. Ansgar und ich waren immer tief in jedem Prozess und allen Details unserer Projekte involviert. Wir haben in jedem St. Oberholz bei der Renovierung mitgeholfen.

Das heisst, ihr wart dort selbst am Werkeln?

Ja. Wir haben zu allem und allen, die uns geholfen haben, einen engen Bezug. Mit unserer Innenarchitektin Astrid Pankrath habe ich über die Jahre eine intensive Bindung aufgebaut. Wir denken oft das gleiche und verstehen uns ohne Worte. Bis heute arbeiten wir mit den gleichen Handwerkern zusammen. Viele sind mit uns gemeinsam gewachsen.

Da kommt für mich plötzlich nochmal eine ganz andere Wertschätzung zu Tage. Vielleicht ist es aber auch genau das, was hintergründig wirkt und wahrgenommen wird. Denn ich habe in Gesprächen immer wieder gehört, wie sehr diese Räume eine Rolle spielen. Ist dir das bewusst?

Mein intuitives Raumgefühl springt in jedem leeren Raum an. Ich sauge immer auf – egal ob ich in meinen eigenen Räumen oder fremden. Ich liebe die Inspiration, die mir so begegnet und zufällt. Ich sammle in meinem inneren Ordner. Es entsteht meist ein Mix aus persönlichen Vorlieben, meinem kreativen Speicher und der Geschichte eines Raumes. Dass wir damit unsere Gäste erreichen, erfüllt mich.

Immer wieder taucht das Oberholz am Rosenthaler Platz als erster Erinnerungsort auf. Du hast diesen Ort ja in einem Zustand betreten, den nur ganz wenige mit dir teilen. Wie war diese erste Begegnung?

Ich erinnere mich sehr genau. In dem Moment, an dem ich die Räume betrat, wollte ich schon wieder raus. Dort war zu diesem Zeitpunkt noch eine Tabledance Bar. Ich hatte überhaupt keinen Bezug zu diesem Ort und konnte mir nichts vorstellen. Was ich jedoch wahrgenommen habe, war die Energie dort, besonders vom Rosenthaler Platz selber. Zwischen Ansgar und mir ging es dann zwei Monate zwischen „natürlich-unbedingt…“ und „auf gar keinen Fall starten wir das“ hin und her. Wir erhielten ziemlich viel Gegenwind. Und es gab das eine wichtige Telefonat zwischen uns. Da waren wir uns einig, dass wir unserer Intuition vertrauen und es einfach versuchen müssen.

Wir haben sehr viel recherchiert und gelesen. Über das Haus, die Geschichte und die ursprüngliche Gestaltung der Räume, über die Aschinger-Brüder und ihre Unternehmen. Ein schönes Detail der Geschichte um die beiden ist, dass sich an diesem historischen Ort am Rosenthaler Platz stets viele Künstler*innen eingefunden haben, weil es immer kostenloses Brot gab.

Was für eine schöne Transformation! Die Künstler*innen bekamen das Brot umsonst und die digitale Bohème im Oberholz kostenlosen Zugang zu Wlan und Strom…

Ja, genau das wollten wir fortführen. Wir schenken die Arbeitsatmosphäre und alles andere, was für eine neue Form von Arbeit notwendig ist. Was uns aber noch viel mehr umgetrieben hat, ist der Wunsch, die Menschen zusammenzubringen. Menschen, die zufällig aufeinander treffen und sich doch den selben Ort ausgesucht haben. Bei uns können sie miteinander sein. Wir wollten einen beständigen Ort gestalten und damit auch unsere tiefe Verbindung zum Rosenthaler Platz symbolisieren.

Was natürlich auch bleibt, sind all die Geschichten und Zeiten, die wir erlebt haben. Vor 15 Jahren war es am Rosenthaler Platz deutlich familiärer. Und da kamen fast täglich Menschen vorbei, die uns ihre ganz persönlichen Erinnerungen erzählten. Zur Geschichte eines Hauses gehören eben die vielen, kleinen einzelnen Geschichten. Ich glaube, dass Erfolg auch von der Gabe abhängt, Vergangenheit und Gegenwart an einem Ort zu verweben. Wir werden durch unsere Gäste beschenkt, das ist für mich Antrieb, macht mich glücklich.

Ich möchte nochmal auf Berlin zurück kommen. Deine sehr offen gelebte und kommunizierte Verbundenheit fühlt sich wie ein notweniger Schlüssel in der Oberholz-Geschichte an. Wo begegnen wir der Koulla in den legendären Berlin-Jahren?

Mich hat der Ostteil der Stadt damals angezogen. Ich habe das nicht hinterfragt, es war einfach so. Da stimmte etwas mit meinem Selbst überein. Das Raue, Unfertige, das Schnörkellose und die Freiheit. Die Häuser waren nicht schön im herkömmlichen Sinne, aber für mich hatte das etwas Echtes. Ich bin dankbar, so früh nach Berlin gekommen zu sein und diese Phase der Stadt erleben zu dürfen. Berlin ist wie ein Kind, dem ich bei seinem Wachsen zuschaue. Ich bin dankbar, dass wir mit dem St. Oberholz mittendrin ein klein wenig Prägung stiften durften.

Ist dir bewusst, dass dieser sehr intime Zugang zu einem Ort eben auch möglich macht, sich den Veränderungen und Entwicklungen zu stellen?

Ich würde sagen Respekt ist das richtige Wort. Ansgar und ich spüren eine Demut Orten und Menschen gegenüber. Wir bewegen uns immer im Miteinander und für uns bringt das automatisch fast tägliche Veränderungen und Herausforderungen mit sich. Wir stehen heute da, weil wir alles genau so wollen.

Wie ich sehe und höre wächst das St. Oberholz kräftig. Ich habe acht Standorte insgesamt gezählt. Was bedeutet dieses starke Wachstum für dich persönlich? Welche Auswirkungen hat es auf deinen Einfluss auf Design und Raum?

Im vergangenen Sommer habe ich das Design für unser temporäres Projekt in der Wehrmühle in Biesenthal noch ein letztes mal im Ganzen ganz alleine übernommen. Ich wusste schon, dass das bis auf weiteres das finale Projekt ist, das ich persönlich ganz tief prägen werde. Bei der Gestaltung des Hauptgebäudes, des Appartmenthauses und des ehemaligen Sacklagers vor Ort, habe ich mich still von dieser Art Arbeit verabschiedet. Ich wusste, dass wir aufgrund unseres Wachstums und der vielen Orte, die wir noch formen werden, unsere Gestaltung in die Hände von Architekt*innen und Interior Designer*innen (Astrid Pankrath und Modiste) legen müssen. Wir haben in einem sehr bewussten Prozess die Gestaltungsprinzipien der St. Oberholz-DNA festgelegt und sind nun gespannt wie unsere Gäste und Coworker*innen den nächsten Evolutionsschritt des St. Oberholz Designs empfinden werden.