Das Wall Street Journal fragte Reed Hastings, den CEO von Netflix, Anfang September, ob er bereits ein Datum im Kopf habe, wann die Mitarbeitenden wieder in die Büros zurückkehren sollten. Mr Hastings Antwort lautete: “Twelve hours after a vaccine is approved.”
Twitter hat bereits im Mai Homeoffice für alle und für immer ausgerufen, alle 4.900 Mitarbeitende dürfen sich ihr Büro zuhause mit einem Budget von 1.000 Dollar selber ausstatten. Netflix und Twitter gelten nicht gerade als innovationsfeindliche Unternehmen, und doch sind ihre Regelungen, was die Dezentralisierung und Ortsunabhängigkeit der Arbeit betrifft, völlig konträr.
Es ist zu früh vorherzusagen, wie groß der Einfluss mobilen Arbeitens sein wird und wie viel und was übrig bleibt, wenn die Pandemie vorüber ist. Aber eines ist sicher: Hier wurde ein Geist aus der Flasche gelassen, der bisher nur bei Start-ups und der Avantgarde der Remote Worker zu Hause war. Ein Geist, der in kurzer Zeit Dinge zauberhaft ermöglichte, die viele Führungskräfte zuvor als völlig abwegig ansahen. Ein Geist, der den Mainstream der Wissensarbeiter*innen weltweit infiziert hat und der sich nicht einfach wieder in die Flasche zurückstecken lässt.
Was geschieht mit Unternehmenskultur?
Dieser Geist wirkt im kulturellen Spannungsfeld: zwischen der Angst der Unternehmensführung vor Kontrollverlust über die Workforce und der Frage der Workforce, warum und wozu sie Büros so nutzen sollte wie vor der Pandemie (… und warum sie wieder wertvolle Lebenszeit mit Pendeln zubringen sollte). Arbeitgeber*innen befürchten, sie hätten keine Kontrolle mehr, und wissen nicht, wie sie führen sollen, wenn kaum noch nennenswerte Begegnungen im echten Leben stattfinden. Der natürliche Reflex ist, es wieder so zu regeln wie vor der Krise.
Es ist jedoch anzunehmen, dass es Widerstand aus den Reihen der Mitarbeitenden geben wird, über den man in der Unternehmensführung nicht einfach wird hinwegsehen kann. Arbeitnehmer*innen werden einen guten und vor allem neuen Grund brauchen, um in die konventionellen Büros zurückkehren. Es ist mittlerweile bewiesen, dass mobiles Arbeiten funktioniert, nicht wenige Arbeitnehmer*innen sprechen von Produktivitätssteigerung. Sie haben an den Vorteilen von ortsunabhängiger Arbeit genippt. Auf der anderen Seite ist auch allen klar geworden, dass Brainstorming, ein Krisengespräch oder die Planung der Jahresstrategie es durchaus erfordern, gemeinsam in einem analogen Raum zu sitzen und Emotionen lesen zu können. Das Homeoffice wird nicht mehr verschwinden. Die Ansprüche an den Arbeitsplatz zu Hause werden steigen. Homeoffice ist allerdings nicht die Antwort auf alle Fragen der ortsunabhängigen Arbeit, sondern nur eine Möglichkeit für mobiles Arbeiten.
Was bedeutet das für Räume und Orte?
Konventionelle Büros, Headquarters und Single-Tenant-Einheiten werden weiterhin existieren, ihre Nutzung wird sich jedoch radikal verändern, und dies erfordert ein nie dagewesenes Maß an Flexibilität, Services und Digitalisierung. Die zeitliche Präsenz der Mitarbeitenden wird sich verringern, Headquarter werden jedoch umso mehr den Markenkern und die Kultur von Unternehmen symbolisieren müssen, als sie dies bisher taten. In zentralen großflächigen Büros in Metropolen wird ein Flächenüberschuss entstehen, der teilweise nicht auf dem herkömmlichen Immobilienmarkt verwertbar sein wird.
In Deutschland sind im August 2020 bereits 50 % aller Beschäftigten wieder voll im Büro, 20 % sind noch ein bis zwei Tage im Homeoffice. Welch vertane Chance, die Kraft dieser Krise zu nutzen!
Wie könnte das konkret aussehen?
Unternehmensführungen benötigen Beratung, um die Angst vor dem Kontrollverlust durch eine dezentralisierte Organisation zu verlieren. Es gibt wirksame und bewiesene Strukturen, die bereits vor dem Lockdown funktionierten. Die mehr persönliches Wachstum, größere Effizienz und eine Steigerung der Performance möglich machen. Aber es bedarf Mut und Entscheidungswillen der Unternehmensführung und Zuhörens gegenüber den eigenen Mitarbeitenden, um dezentrale Führung und neue Work Rules zu etablieren.
Die frei werdenden Flächen in zentral gelegenen Büros sollten an die Bedürfnisse der Workflows der Teams angepasst werden: mehr flexible Workshop- und Projekträume, flexible Arbeitstische, die tageweise gebucht werden können. Überschüssige Flächen können smart an externe Teams und Start-ups vergeben werden, die dem eigenen Unternehmen neue Perspektiven und Begegnungen ermöglichen können.
Um dem Bedürfnis der Mitarbeitenden nach weniger Fahrtzeit und mehr Flexibilität nachzukommen und gleichzeitig dem Management eine gewisse räumliche Kontrolle zu erlauben, könnte man statt eines großen zentralen HQ ein dezentrales, das über eine Metropolregion verteilt ist, einrichten. Kleine Büroeinheiten, die den Standards des Unternehmens entsprechen, die der Betriebsrat abnickt und die sich vor allem in der Nähe der Mitarbeitenden befinden. (Die Informationen über deren Wohnorte hat jedes Unternehmen, und sie lassen sich denkbar einfach auswerten). Ein Office Grid aus Neighbourhood-Offices. Ein dezentrales smartes HQ, das einzelne Teile flexibel zuschalten oder abstoßen kann, je nach Bedarf.
Die positiven Effekte auf den CO2-Abdruck durch deutlich verringerte Fahrten und die gesteigerte Zufriedenheit der Menschen, die mehr Lebenszeit zur Verfügung haben, sind wichtige Nebeneffekte. Zudem sinkt damit die Wahrscheinlichkeit, im Falle einer Ansteckung große Teile der Belegschaft in Quarantäne schicken zu müssen.
Und zu guter Letzt: Wenn Homeoffice eine echte, bleibende Alternative sein soll, müssen die Arbeitgeber*innen den Mitarbeitenden entsprechende Möbel und Tools zur Verfügung stellen.
All dem liegt ein Paradigmenwechsel zugrunde: rollenbezogenes wird zu anlassbezogenen Arbeiten. Je nach konkreter Aufgabe wählt der Mitarbeitende zwischen dem Neighbourhood-Office, Homeoffice, einem Café oder dem Headquarter aus.
Manche Unternehmensführungen fremdeln noch ein wenig mit der Neuordnung der Arbeitswelt. Eines ist jedoch vorhersehbar: Man wird weder den Geist in die Flasche noch die Mitarbeitenden in die Büros zurückstecken können.
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